Ausgabe September / Oktober / November 2021

Die Taube - Gemeindebrief aus den Lehniner Kirchengemeinden

Liebe Leserin, liebe Leser,

in meiner Praxis als Krankenhausseelsorger läuft er mir immer wieder über den Weg. Charles Darwin. Er ist schon lange tot, aber ich höre von ihm immer wieder. „Ach, wissen Sie, Herr Pfarrer, das mit dem Glauben ist meine Sache nicht mehr. Schon das ganze Gerede von der Schöpfung, das man dauernd hört. Seit Darwin wissen wir das doch wirklich besser!“ Irgendwann ärgerte ich mich über diese Besserwisserei so sehr, dass ich einmal genauer nachsah, was es mit dem Engländer auf sich hatte. Zu meiner Überraschung lernte ich, dass er Theologie studiert hatte. Das war in der Schule in der DDR nicht vorgekommen, da bin ich sicher. Er hatte reiche Eltern, was uns auch verschwiegen wurde. Die finanzierten seine große und wichtige Reise, von der wir dann auch etwas lernten.

Als Unterhalter (na ja, Gesprächspartner will ich mal höflicher sagen) für den Kapitän ging er mit 22 Jahren an Bord der „Beagle“ auf eine fast fünf Jahre währende Weltreise.

Was für eine Chance! Da kann man neidisch werden. Ein reines Vergnügen war es für ihn allerdings nicht, litt er doch lange und immer wieder an der Seekrankheit. Das hielt ihn, der schon immer naturbegeistert war, nicht vom Sammeln ab. Bis heute sind seine fast 4000 getrockneten bzw. ausgestopften Fundstücke (wo tat er die hin…?) noch immer nicht völlig ausgewertet. Dazu kommen noch weit über 1000 in Spiritus eingelegte Exemplare, 770 Seiten Tagebuch, Zeichnung …

Die Evolutionstheorie, auf die ich immer wieder aufmerksam gemacht werde, war noch nicht erdacht. Aber es sollen die auf den Galapagos-Inseln beobachteten und natürlich gesammelten Spottdrosseln gewesen sein, die ihn erste Überlegungen anstellen ließen. Er war, wie gesagt, ja auch nicht gerade der fitteste Seereisende. „Fit sein, ist ein Stichwort, das später, jedenfalls im deutschen Sprachraum, seine Überlegungen aus Gründen der Übersetzung verfälschte. „Survival of the fittest“ wurde mit dem „Überleben des Stärksten“ übertragen – das hatte er nie gemeint. Zweifellos ist das Überleben des Angepasstesten von ihm gemeint gewesen.

Die Taube - Gemeindebrief aus den Lehniner Kirchengemeinden

Ich gestehe, ich war berührt von der Art, wie er sich mit dem Glauben und dem, was er sah und wahrnahm, auseinandersetzte. Sein Glauben entwickelte sich. Seine Forschungen ergaben, dass, was in der wissenschaftlichen Theologie heute übereinstimmende Meinung ist, die Geschichte von der Erschaffung der Welt, wie sie am Anfang der Bibel erzählt wird, nicht wörtlich gemeint sein kann. So klar war das zu seinen Lebzeiten nicht. Da gab es Leute, die haben genau nachgerechnet, wann es denn gewesen ist, als Gott sprach: „Es werde Licht.“ So kam der Bischof von Usher (17. Jh.) nach langem Rechnen auf den 22. Oktober 4004 vor Christi Geburt und zwar um 21:00 Uhr. Bis heute gibt es nicht wenige fundamentalistische Christen, die meinen, es genau zu wissen. Ihrer Meinung nach sei die Bibel wörtlich zu verstehen. Deshalb gab es für sie ja auch keine Dinosaurier, denn die kommen in der Bibel nicht vor.

Mit vielen andern bin ich überzeugt, dass die biblische Geschichte von der Entstehung der Welt eine Wahrheit – nämlich, dass wir durch Gottes Willen hier auf der Erde leben – in einem Mythos erzählt. Das WIE ist dabei nicht entscheidend, sondern die feste Überzeugung, DASS wir nicht zufällig hier auf Erden leben und dass uns Gott den Auftrag gab, diese Erde zu bebauen und zu bewahren. Interessanterweise war Darwin Zeit seines Lebens daran interessiert, dass seine Überlegungen auch von Menschen, die an Gott glauben, geteilt werden können. Er ließ am Ende seines Lebens, als er schon nicht mehr selber schreiben konnte, an einen Studenten in Deutschland schreiben: „Selbst in meinen extremsten Zweifeln bin ich nie ein Atheist in dem Sinne gewesen, dass ich an der Existenz von Gott gezweifelt hätte.“ Zweifeln, auch Verzweifeln an Gott – wie dies bei Darwin beim Tod einer seiner Töchter der Fall war – das ist für mich eine ganz besondere Form, Gott ernst zu nehmen. Darwins Hauptwerk „Die Entstehung der Arten“ endet mit den Worten: „Es ist eine großartige Pracht, das Leben so zu sehen, wie es sich entwickelt hat, mit seinen verschiedenen Kräften, vom Schöpfer im Anfang belebt… in seinen endlosen, schönen und wunderbarsten Formen.“

So verstanden, was auch immer Sie, liebe Leserin oder lieber Leser, von Darwin halten, lohnt es auch in herbstlicher Frische einen Spaziergang mit offenen Augen zu unternehmen.

Ihr Pfarrer und Krankenhausseelsorger Friedrich Demke