Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?
Jer 23, 23 – Monatsspruch für September
Ach, wie spricht mir dieses Wort mir aus der Seele. Da kann ich sofort antworten: Ja! Du bist ein Gott der ferne ist. Manchmal kommt es mir so vor, als seist du sehr viel öfter fern als nah. Alles Leid könnte ich jetzt aufzählen, das persönliche wie das der ganzen Weltgeschichte, einschließlich des aktuellen. Und schon immer ging es den Menschen so. Seit Urzeiten fragen sie, warum das so ist. Oder wie man da überhaupt noch von Gott reden kann. Seit Jeremias Zeiten, seit fast 2600 Jahren also diese Frage so im Wortlaut.
Auf der anderen Seite erzählen mir viele Menschen von Gottes Nähe. „Und als er dann die Augen geschlossen hat, da wusste ich, dass er jetzt bei Gott ist. Da habe ich einen tiefen Frieden gespürt.“ erzählt mir eine Witwe im Trauergespräch. „Gott hat mich nicht allein gelassen, er war mir immer nahe – im Schönen und auch im Schweren. Oft habe ich es allerdings erst hinterher gemerkt.“ Ja, so sind unsere Erfahrungen mit Gott. Manchmal scheint er uns direkt zu berühren, ein anderes Mal fragen wir uns, ob es ihn überhaupt gibt.
Ich finde es tröstlich, dass es Menschen so sehen können, dass Gott auch fern erscheint. Zum einen, weil es ja wohl nicht Gott wäre, wenn ich alles genau über ihn wüsste und ich jederzeit von seiner Nähe überzeugt wäre. Wenn ich ihn quasi in Besitz hätte. Wie einen Talisman in der Hosentasche. Dann hätte ich wohl auch für jede Situation eine Deutung parat und könnte vielleicht auch alles erklären. Und andere um mich herum würden entweder denken, ich spinne oder dass ich einen besonderen Draht zu Gott hätte. Zum anderen befreit mich diese Rede vom fernen Gott von dem Druck, immer ‚fromm sein‘ zu müssen. Als sei es ein Makel, an Gott zu zweifeln und mitunter sogar zu verzweifeln. Als würde ich mich nicht auch manchmal fragen, warum er sich nicht deutlich zeigt und mal mit der Faust auf den Tisch haut und zum Beispiel mit dem Ukrainekrieg ein Ende macht. Luther bezeichnete Gott als verborgenen Gott – im Gegensatz zum sich offenbarenden Gott. Beides erfahren wir. Von beidem finden wir Zeugnisse in der Bibel, in der Kirchengeschichte und im persönlichen Glauben.
Wie schön, dass Gott sich gelegentlich offenbart – sonst wüssten wir gar nichts von ihm. Wie gut, dass er auch im Verborgenen bleibt – sonst wären wir schon im Himmel.
Mich gemahnen sowohl das Erleben als auch die Rede vom verborgenen Gott immer wieder, verantwortlich von Gott zu reden. Ihn nicht klein zu machen mit meinen Worten und Großes zu erhoffen. Es ist eben Gott, von dem wir sprechen. Die größte Offenbarung Gottes für uns ist Jesus Christus. Er ist sozusagen die Brücke Gottes zu uns Menschen. Vollends erkennen können wir ihn dennoch nicht. Was Luther einst zu Erasmus sagte, können auch wir uns gesagt sein lassen: „Gar zu menschlich denkst Du über Gott!“
Pfarrerin Almuth Wisch