Ausgabe Juni, Juli, August 2024

Klosterkirche Lehnin Gemeindebrief 'Die Taube' Ausgabe Juni, Juli, August 2024

Eine Heimkehrerin

Es begann mit einer weitergeleiteten Nachricht, selbstredend digital, wie sich das heute gehört, in dem Falle nützlich, denn sie ermöglichte eine flinke Reaktion. Ich wurde unterrichtet, daß eine Taufkanne, laut Aufschrift aus Nahmitz, zur Versteigerung stünde, in einem Berliner Auktionshaus: Ob ich eventuell mitbieten wolle? Mein erster Gedanke: Sonst seid ihr gesund – wo sollte ich das Geld hernehmen, und wie, bitte schön, sollte ich das abrechnen? Mein zweiter Gedanke: Die sind wohl verrückt geworden, das ist kirchliches Eigentum!

Ich dankte artig für den Hinweis und schrieb an das Auktionshaus, nachdem ich mir, wiederum digital, die fragliche Taufkanne angesehen hatte. Ich werde sonst nicht schnell grob – hier wurde ich es; kurz und bündig teilte ich mit, die Kanne sei kirchlicher Besitz, ich erhöbe darauf Anspruch, widrigenfalls würde ich Strafanzeige erstatten. Ziemlich schnell bekam ich eine leicht verschnupfte Antwort: man könne doch über alles reden. Ich kehrte meinerseits zu höflichen Umgangsformen zurück und schrieb, ich sei ganz Ohr (respektive Auge). Man sei bereit, die Kanne zu übergeben (das Auktionshaus müsse allerdings den Einlieferer entschädigen), ich möge das in die Tagespresse bringen, gewissermaßen als Gegenleistung, um für das Auktionshaus zu werben. Das Versprechen konnte ich leider noch nicht einlösen, die MAZ ist momentan äußerst schwer zu erreichen für Ausflüge aufs Land, zumal der bewährte Redakteur gerade in Rente ging. Ich werde es natürlich trotzdem halten.

Das ersehnte Paket bekam ich recht schnell: Andächtig hielt ich das gute Stück in der Hand. Eine Schönheit ist es nicht unbedingt; in mir stieg der boshafte Gedanke auf, die Gravur „Tauf-Kanne“ sei durchaus nötig, damit man das Gerät nicht mit einem Bierkrug verwechselt, mit dem es eine fast peinliche ÄhnlichkeitEgal – de gustibus non est disputandum, sagten einst die Römer, über Geschmack soll man nicht streiten: Wer weiß, wie unsere Nachkommen dereinst über das sprechen, was wir heute „schön“ zu nennen belieben. Und dann die Jahresangabe: 1789! Preußenkönig Friedrich der Große war eben drei Jahre tot, in Frankreich begann die Revolution mit dem Sturm auf die (fast leere) Bastille, kein Heldenstück, aber eine Aktion mit weitreichenden Folgen. Goethe zählte gerade vierzig Jahre und schrieb fleißig, Schiller hielt seine Antrittsvorlesung „Was ist und zu welchem Zwecke studiert man Universalgeschichte“, Lessing war bereits acht Jahre zu seinen Vätern versammelt. Und die kleine, kleine Kirchengemeinde Nahmitz, deren Mitglieder einige weitere Jahrhunderte zuvor den Lehniner Abt erschlagen hatten, vermutlich, weil sie seine Predigt nicht hören wollten, diese Kirchengemeinde leistete sich eine neue Taufkanne. Die Kirche selbst war zu der Zeit neu – warum nicht auch neues Sakralgerät beschaffen?

Klosterkirche Lehnin Gemeindebrief 'Die Taube' Ausgabe Juni, Juli, August 2024

Wie lange war sie wohl im Gebrauch? Bewahrte sie ein Ältester auf, dessen Nachkommen sie beiseite schoben oder auf dem Dachboden verkramten, bis irgend jemand sie entdeckte und meinte, man könne sie gut noch zu Geld machen? Wir werden es sicher nicht erfahren. Wieviele Taufen sind unter Mitwirkung dieser Kanne vollzogen worden? Wieviele Pfarrer hielten sie in der Hand? Unter den heutigen Nahmitzern jedenfalls erinnert sich niemand an das gute Stück, sein Verschwinden muß wohl eine Weile zurückliegen. Der springende Punkt: Ohne Kelch ist es schwierig, Abendmahl zu feiern. Ohne Kanne aber läßt es sich problemlos taufen. Man vermißt sie nicht so schnell. Es ist allgemein üblich, Taufwasser ins Becken zu füllen, ehe überhaupt der Gottesdienst beginnt, womöglich aus einer Thermosflasche, damit der Täufling nicht vom kalten Wasser verschreckt wird. Was man aber nicht vermißt, verschwindet gerne.

Nun ist sie heimgekehrt. Möge sie künftig sorgfältiger gehütet werden und weiterhin für möglichst viele Taufen auf dem Taufstein stehen. Nahmitz rühmt sich eines modernen Abendmahlsgerätes, das stilistisch schlecht dazu paßt, aber da Abendmahl und Taufe sehr selten in ein und demselben Gottesdienst gefeiert werden, dürfte das kaum eine Rolle spielen. Zu der barocken Kirche paßt dieser Krug, der übrigens erhebliches Gewicht hat. Man könnte damit auch jemanden erschlagen – hoffentlich nicht, der schlechte Ruf im Blick auf den unglückseligen Abt genügt, Nahmitz ist ihn bis heute nicht los.

Pfarrer Anselm Babin